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Bilanzielle und steuerliche Behandlung der Subsidiärhaftung für Entleiher in der Zeitarbeit: Rückstellungen richtig bilden

2025-10-08 17:29

Einleitung – Haftungsrisiken für Entleihunternehmen

Unternehmen, die Zeitarbeitnehmer einsetzen, sind regelmäßig Entleiher im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Damit gehen sie – neben den Vorteilen flexibler Personalplanung – auch spezifische rechtliche Risiken ein. Eines der zentralen Risiken ist die subsidiäre Haftung für Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern, wenn der Verleiher seinen gesetzlichen Verpflichtungen hierbei nicht nachkommt oder keine gültige Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt.

Die gesetzlichen Grundlagen für diese Haftung finden sich insbesondere in:

  • § 28e Absatz 2 SGB IV: Subsidiäre Haftung des Entleihers für Sozialversicherungsbeiträge.
  • § 42d Absatz 6 EStG: Haftung des Entleihers für nicht abgeführte Lohnsteuer.
  • § 10 Absatz 3 AÜG: Gleichstellung von Leiharbeitnehmern mit regulären Arbeitnehmern bei fehlender Erlaubnis.

Diese Vorschriften verdeutlichen: Entleihunternehmen können auch dann finanziell in Anspruch genommen werden, wenn sie selbst ihre Pflichten ordnungsgemäß erfüllen. Das Risiko liegt in der rechtlichen Konstruktion der Sekundärhaftung – und diese muss bilanziell korrekt abgebildet werden.

Rückstellungen – handels- und steuerrechtlicher Rahmen

Nach handelsrechtlichen Vorgaben ist eine Rückstellung mit Verpflichtungscharakter zu bilden, wenn:

  1. eine rechtliche Außenverpflichtung gegenüber einem Dritten besteht,
  2. mit einer Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist,
  3. die Verpflichtung dem Grunde oder der Höhe nach noch ungewiss ist.

Genau dies kann auf die Subsidiärhaftung in der Zeitarbeit zutreffen. Sie ist eine gesetzliche Verpflichtung aus öffentlichem Recht.

Somit ergibt sich handelsrechtlich die Pflicht zur Bildung einer Rückstellung aus § 249 Absatz 1 Satz 1 HGB.

Zur Höhe gilt § 253 Absatz 1 Satz 2 HGB: Rückstellungen sind nur in der Höhe anzusetzen, die nach „vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig“ ist.

Auch steuerlich ist eine Rückstellung zu bilden. § 5 Absatz 1 Satz 1 EStG verlangt die Abbildung aller Verbindlichkeiten, die wirtschaftlich im abgelaufenen Geschäftsjahr verursacht sind.

Hinsichtlich der steuerlichen Bewertung der Rückstellung ist § 6 Absatz 1 Nr. 3 EStG zu beachten, der konkretisiert, dass bei der Bewertung auch Erfahrungswerte in der Vergangenheit bei der Abwicklung solcher Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.

Ebenso muss die Wahrscheinlichkeit, dass der Steuerpflichtige nur zu einem Teil der Summe dieser Verpflichtungen in Anspruch genommen wird, in die Bewertung einzubeziehen.

Die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag sind maßgeblich. Allerdings sind neue Erkenntnisse bis zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung, sog. wertaufhellende Tatsachen, zu berücksichtigen.

Wie immer im Steuerrecht empfiehlt sich eine genaue Dokumentation der Vorgänge.

Eintrittswahrscheinlichkeit

Ein entscheidender Punkt ist die Frage der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme – wie sicher wird der Entleiher in die gesetzliche Subsidiärhaftung geraten.

Rückstellungen sind bereits zu bilden, wenn eine Verpflichtung überwiegend wahrscheinlich oder selbst bei geringerer Wahrscheinlichkeit so erheblich ist, dass ein „vorsichtiger Kaufmann“ sie berücksichtigen würde.

Schon wenn die Wahrscheinlichkeit unter 50 % liegt, kann eine Rückstellung erforderlich sein. Ebenso sofern ein potenzieller Unternehmenskäufer das Risiko bei der Kaufpreisfindung preismindernd einbeziehen würde.

Bilanzrelevanz

Eine fehlende oder falsche Rückstellung kann enorme Auswirkungen auf den Jahresabschluss eines Entleiherunternehmens haben.

Der Jahresabschluss muss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln, § 264 Absatz 2 HGB. Er muss die wahre Lage des Unternehmens abbilden, „true and fair value“.

Ohne eine solche Rückstellung wäre der Jahresabschluss nichtzutreffend und könnte zu falschen wirtschaftlichen Schlussfolgerungen führen.

Auswirkungen für Unternehmensfunktionen

Ein vernünftiger, vorsichtiger Kaufmann würde eine solche Rückstellung bilden.
Was bedeutet dies für die verschiedenen Unternehmensfunktionen.

Die Verantwortung für den Umgang mit diesem Risiko liegt nicht nur bei der Finanzabteilung. Mehrere Unternehmensbereiche sind betroffen.

1. Einkauf

  • Prüfung der eingesetzten Zeitarbeitsfirmen.
  • Sicherstellung, dass eine gültige Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vorliegt.
  • Vertragsgestaltung mit Regelungen zur Haftungsfreistellung.

2. HR / Personal

  • Dokumentation der eingesetzten Leiharbeitnehmer.
  • Kontrolle von Equal-Pay-Regelungen und Einhaltung des AÜG.
  • Zusammenarbeit mit Einkauf und Compliance bei Auswahlprozessen.

3. Compliance

  • Überwachung gesetzlicher Vorgaben.
  • Einrichtung interner Kontrollsysteme, um Haftungsrisiken frühzeitig zu erkennen.
  • Sicherstellung, dass Risiken in das interne Risikomanagement aufgenommen werden.

4. Legal

  • Prüfung der Vertragsgestaltung mit Verleihern.
  • Beratung bei Streitfällen über Haftungsfragen.
  • Einschätzung von Prozessrisiken.

5. Geschäftsführung und CFO

  • Übergeordnete Verantwortung für Risikomanagement und Bilanzierung.
  • Entscheidung über die Höhe und den Ausweis von Rückstellungen.
  • Berichtspflichten gegenüber Aufsichtsorganen, Gesellschaftern oder Investoren.

6. Rechnungswesen / Controlling

  • Bewertung und Abbildung der Rückstellungen.
  • Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen für die Abschlussprüfung.
  • Einbindung von Erfahrungen aus Vorjahren und externen Prüfungsfeststellungen.

Praktische Umsetzung

Für die Praxis lassen sich folgende Schritte empfehlen:
  1. Prüfung der Verleiher: Regelmäßige Kontrolle der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis.
  2. Vertragliche Absicherung: Haftungsfreistellungsklauseln einfordern – auch wenn diese rechtlich nicht jede Subsidiärhaftung ausschließen.
  3. Risikoeinschätzung: Gemeinsame Bewertung durch Einkauf, HR, Legal und Finance.
  4. Rückstellungsbildung: Erfassung in der Handels- und Steuerbilanz nach Maßgabe von HGB und EStG.
  5. Dokumentation: Sorgfältige Begründung der Rückstellungsansätze, um Diskussionen mit Prüfern und Finanzverwaltung vorzubeugen.
  6. Kontinuierliche Aktualisierung: Neue Informationen (z. B. Insolvenz eines Verleihers, Prüfberichte der Sozialversicherungsträger) müssen laufend berücksichtigt werden.

Fazit

Entleihunternehmen tragen ein erhebliches subsidiäres Haftungsrisiko im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern. Dieses Risiko ist nicht nur eine rechtliche oder operative Fragestellung, sondern kann auch zu bilanziellen Verpflichtungen führen.

Die Bildung von Rückstellungen ist aus handels- und steuerrechtlicher Sicht geboten, wenn ein vernünftiger Kaufmann eine Inanspruchnahme für hinreichend wahrscheinlich hält. Fehlende Rückstellungen können den Jahresabschluss verfälschen und zu rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen führen.

Für Entleiher bedeutet das: Einkauf, HR, Compliance, Legal, Rechnungswesen und Geschäftsführung müssen zusammenarbeiten, um das Haftungsrisiko zu erfassen und angemessen abzubilden. Nur so wird die wirtschaftliche Lage des Unternehmens korrekt dargestellt – und Haftungsüberraschungen können vermieden werden.
Über den Autor
Phillip Campbell
Rechtsanwalt, Steuerberater
Partner bei der CdC Capital GmbH Steuerberatungsgesellschaft, München
https://cdc-capital.com